Unter den vielen SchriftstellerInnen, die an den Lesungen im Rahmen der Ernst-Jandl-Lyrik-Tage teilgenommen haben, war auch die Bremerin Nora Bossong. Mit 31 Jahren gehört sie zu der Jugendabteilung der DichterInnen vor Ort. In einem Interview spricht sie mit uns unter anderem über die Ernst-Jandl-Lyrik-Tage, wie Lyrik im Schulunterricht attraktiver gestaltet werden kann, ihre persönlichen Schreiberfahrungen sowie über ihren Bezug zu Konfessionen. I: Wie geht es Ihnen? B: Oh ich bin ein bisschen müde, das liegt aber nicht an der letzten Nacht, sondern an der davor. Ansonsten geht es mir sehr gut, es ist sehr idyllisch hier. I: Wie sind Sie zu den Ernst-Jandl-Lyriktagen gekommen? Paul Jandl schickte mir irgendwann eine Mail, ob ich Zeit hätte und ob ich mich einladen lassen würde. Ich sagte, ich hätte Zeit und würde mich einladen lassen, und dann kam irgendwann die Einladung vom Bundesministerium. I: Welchen Bezug haben Sie als Lyrikerin zu Ernst Jandl? B: Ich als Lyrikerin habe, glaube ich, einen geringen Bezug zu Ernst Jandl, als Leserin viel eher. Ich habe ihn natürlich viel gelesen, wie wahrscheinlich jeder, der deutschsprachige Lyrik liest. Ich glaube, dass meine Lyrik - sie haben das gerade gehört - nicht in erster Linie einen starken Jandl-Bezug aufweist. Da gibt es viele andere Lyriker, die das mehr haben. Aber natürlich - als Leserin lernt man daraus und es ist dann, auch ohne ein Bezug zu sein, ein wichtiger Bezugspunkt in der eigenen Lesebiografie. I: Seit wann schreiben Sie denn? B: Ich habe sehr früh angefangen zu schreiben, aber immer Prosa. Mit Ende der Schulzeit habe ich die ersten Gedichte geschrieben und habe damit irgendwie schnell mehr Aufsehen erregt - relativ schnell - was bei meiner Prosa etwas stolpriger war, sodass ich dann häufig als Lyrikerin wahrgenommen wurde und erst später als Prosaautorin. Dabei war es von meiner eigenen Entwicklung her genau umgekehrt. I: Es scheint, dass Lyrik die Gattung ist, die heutzutage eher zu kurz kommt. Was meinen Sie, wie man dieses Handlungsfeld wieder attraktiver machen kann – speziell für junge Menschen? B: Ich kann das natürlich nur von meiner Schulzeit in Deutschland sagen. Ich weiß nicht, wie sich der Unterricht da unterscheidet. Ich hatte das Gefühl, dass Gedichte da häufig so eine Art Textaufgabe waren. Also so wie im Mathematikunterricht – da gab es ja auch Textaufgaben. Ebenso wie im Mathematikunterricht war dies offenbar bei vielen nicht so beliebt. Und Gedichte wurden nicht so gelesen wie ein Roman. Also Romane oder Erzählungen werden uns ja schon als Kinder häufig vorgelesen – von unseren Eltern, Großeltern, Bekannten, wenn wir noch nicht lesen können. Oder wir fangen relativ früh an, freiwillig in unserer Freizeit, Romane zu lesen. Das muss nicht unbedingt dann Goethe oder Musil sein, aber zumindest lesen wir es freiwillig. Und bei der Lyrik ist es so, dass sehr viele meiner Klassenkameraden mit Lyrik in Berührung kamen, als es dann in der Schule Stoff war. Das heißt, wir haben nie einen freien, zensuren-ungebundenen Umgang mit Lyrik gelernt, sondern es war sofort unter der Beobachtung eines Lehrers, der uns danach für unsere Beschäftigung mit der Lyrik eine Note gegeben hat. Und das ist natürlich nicht gerade die beste Art und Weise mit etwas in Kontakt zu kommen, was man dann auch gernhaben kann. |
Es gibt dann auch wenige Leute, die gern freiwillig Mathematikübungen machen – die gibt es natürlich, aber die sind weniger. Und ich glaube, dass dieses in einem erst mal unbeobachteten Zusammenhang und vielleicht auch einem freundschaftlich-familiären Zusammenhang mit Lyrik in Berührung zu kommen, eigentlich sehr wichtig wäre. Und eben auch um wegzukommen von dieser Art, es wie eine Textaufgabe zu fassen. Bei uns waren die Klausuren zu Lyrik immer so: das erste Viertel war das Zählen der Hebungen und Senkungen; das zweite Viertel war eine Zusammenfassung des Inhalts; im dritten Viertel musste man die Hebungen und Senkungen mit dem Inhalt zusammenbringen, unter dem Oberthema Form und Inhalt – wie passt das zusammen. Und das Vierte war dann unsere Konklusion, was eigentlich der Dichter damit sagen wollte. Und das, was im vierten Teil vorkam, war dann ungefähr das, was unsere Lehrerin oder unser Lehrer uns vorher eingebläut hatte. Zum Beispiel: Kafka ist zwar kein Lyriker, aber bei Kafka war es natürlich immer so, egal was wir uns gedacht haben oder aus dem Text herausgelesen haben, dass wir schreiben mussten: „Natürlich ist das alles biographisch und im Endeffekt ein Problem mit seinem Vater.“ Das ist dann eigentlich eine totale Einengung auf vorgetretene Pfade, also eigentlich Auswendiglernen von einem Stoff, der dann raufgestülpt wird auf das Gedicht, ob man selbst meint, dass es stimmt, oder nicht. Da geht ja auch ein genaues Lesen komplett verloren, weil man eigentlich die Antwort vom Lehrer zwei Stunden zuvor gehört hat, die der Lehrer dann auch in der Klausur erwartet wiederzufinden, und ich glaube, dass diese Art der Vermittlung, zumindest bei mir, nicht gerade dazu geführt hat, dass ich in dem Zusammenhang die Lyrik gerne gemocht habe. Ich hatte aber davor und drum herum einen komplett anderen Zugang zu Lyrik – über Bekannte oder über Familie, einfach über andere Leute, die mir mit Begeisterung von Lyrik erzählt haben. Und dann habe ich auch einen Zugang gefunden und irgendwie Celan, Bachmann, die '60-er Jahre viel gelesen und auch mit Begeisterung gelesen. Aber über die Schule war das eher trockener Stoff. I: In der Schule hat die Intention des Autors oftmals eine zentrale Rolle. Wie sehen Sie das als Lyrikerin – vor allem mit der Erfahrung, dass Leute auch an Sie herantreten und Sie explizit nach Ihren Intentionen im Gedicht fragen?
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